Was bedeutet „Dyskalkulie“?
Der Begriff „Dyskalkulie“ beschreibt eine Störung mit ausgeprägten Schwierigkeiten beim Erlernen des Rechnens. Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten, wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie oder Differential- und Integralrechnung benötigt werden. Neben dem Begriff der Dyskalkulie gibt es noch weitere Begriffe die, die Lernstörung beschreiben. Alle Begriffe beschreiben das gleiche Phänomen, nämlich deutliche Probleme im Zahlen und/oder Mengenverständnis sowie den darauf aufbauenden Rechenfertigkeiten.
Berücksichtigen sollte man jedoch, dass nicht jedes Rechenproblem eine Dyskalkulie darstellt. Viele Kinder tun sich im Laufe ihrer Schulbahn mit bestimmten Inhalten leichter als mit anderen. Vor allem wenn neuer Stoff gelernt und noch nicht ausreichend geübt wurde, kommt es zu Fehlern. Falls ein Kind jedoch dauerhaft Schwierigkeiten beim Mathelernen hat, Hausaufgaben gemeinsam mit den Eltern gemacht werden müssen und trotz allen Übens die gleichen Inhalte immer und immer wieder neu erklärt werden müssen, sollte das Vorliegen einer Dyskalkulie überprüft werden.
Da sich eine Dyskalkulie auch nicht „auswächst“, sollte nicht unnötig gewartet -, sondern frühzeitig mit einer Förderung begonnen werden. Umso später die Diagnose feststeht und eine Förderung beginnen kann, umso mehr muss das Kind aufholen und umso stärker wirken sich die Defizite in Mathematik womöglich auch auf andere Schulfächer und die allgemeine Lernmotivation aus. Die Durchführung der Diagnostik im Jugendlichenalter ist zudem wichtig, weil es nach dem 18. Lebensjahr sehr schwer ist, eine diagnostizierende Stelle zu finden.
Was sind Anzeichen einer Dyskalkulie?
Erste Anzeichen einer Dyskalkulie gibt es bereits im Vorschulalter. Dies betrifft die sogenannten Basisfertigkeiten, die als Vorläufer der späteren Rechenfertigkeiten gelten. Darunter zu verstehen ist vor allem das Mengen- und Zahlenverständnis, die Zählfertigkeit sowie einfache Additions- und Subtraktionsaufgaben. Es kann jedoch sein, dass die Lernschwierigkeiten erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Schule bemerkbar werden. Dies ist der Fall, wenn das Kind ein allgemein hohes Lern- und Leistungsniveau aufweist und Defizite im Rechnen erst auffallen, wenn die schulischen Anforderungen ansteigen.
Ich vermute bei meinem Kind eine Dyskalkulie – wie gehe ich vor?
Zunächst ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und diese auch dem Kind zu vermitteln. Als erstes können Sie das Gespräch mit der Lehrkraft suchen und weitere Schritte mit ihr abklären. In der Regel besteht die Möglichkeit die Schüler und Schülerinnen im Rahmen des Mathematikunterrichts zu testen. Ist dies nicht zielführend ist der Gang zum Schulpsychologe sinnvoll, hier können förderdiagnostische Tests durchgeführt werden, um eine mögliche Förderung im Betracht zu ziehen. Zudem kann man sich auch an außerschulische Beratungsstellen und/oder eine entsprechend spezialisierte psychologische oder kinder- und jugendpsychiatrische Praxis wenden.
Wie wird Dyskalkulie diagnostiziert?
Bei der Diagnose einer Dyskalkulie unterscheidet man zwischen zwei Arten der Diagnostik, der innerschulischen- und der außerschulischen Diagnostik.
Innerschulische Diagnostik bedeutet, dass im Rahmen der Schule eine Dyskalkulie diagnostiziert wird. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Dyskalkulie gemäß ICD-10, da diese nur von Kinder- und Jugendlichenpsychiatern/ innen oder approbierten bzw. psychologischen Psychotherapeuten/innen gestellt werden darf. Es ist vielmehr die schulische Feststellung, dass beim jeweiligen Kind Rechenprobleme vorliegen. Jede Schule hat den Grundsatz, ihre Schüler/innen individuell zu fördern. Die innerschulische Diagnostik ermöglicht es, Umfang und Inhalte der Förderung festzulegen. Die außerschulische Diagnostik wird von Kinder- und Jugendlichenpsychiatern/innen oder approbierten bzw. psychologischen Psychotherapeuten/innen durchgeführt. Nur sie ermöglicht eine Diagnose nach ICD-10 und ist somit von zentraler Bedeutung. Auch wird sie in vielen Schulen berücksichtigt oder ist teilweise notwendig, um eine schulische Förderung und einen Nachteilsausgleich zu erhalten. Eltern sollten daher bei begründetem Verdacht einer Dyskalkulie frühzeitig die Diagnostik von einer Fachkraft durchführen lassen.
(Die Dyskalkulie-Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen ist eine Kassenleistung. Eltern brauchen allerdings eine Überweisung von dem/der zuständigen Kinderarzt/ärztin.)
Was passiert nach der Diagnose?
Falls ein Kind die Diagnose Dyskalkulie erhält, ist nicht die Schuld bei den Eltern oder sogar dem Kind selbst zu suchen. Eine Dyskalkulie entsteht nicht, weil ein Kind zu wenig lernt oder die Eltern es zu wenig beim Lernen unterstützt haben. Die Ursachen einer Dyskalkulie sind vielfältig und haben einen großen neurogenetischen Anteil. Ziel sollte es daher stets sein, gemeinsam mit dem Kind und der Schule Lösungen zu finden, um das Kind beim Erlernen des Rechnens bestmöglich zu unterstützen.
Nach der Bestätigten Diagnose sollten Eltern die Fachkraft bitten, im Gutachten auszuführen, welche Nachteilausgleiche oder Fördermöglichkeiten für den Schüler/die Schülerin angemessen sind. Mit dem Befund wenden sich Eltern an die Schule, am besten an die dort tätigen Schulpsychologen/innen. Fördermaßnahmen und ein eventueller Nachteilsausgleich können hier besprochen und beantragt werden.
Wenn die Diagnostik im Grundschulalter durchgeführt wurde, wird dieses Gutachten nicht mehr im Erwachsenenalter anerkannt.
Welche Fördermaßnahmen gibt es?
Es wird zwischen innerschulischer und außerschulischer Förderung unterschieden.
Innerschulisch Förderung meint eine Förderung des Kindes während des allgemeinen Schulbetriebs. Dies kann von unterstützenden Maßnahmen während des normalen Unterrichts bis hin zu Einzelstunden mit der jeweiligen Lehrkraft reichen. Nicht selten verfügen die Lehrkräfte nicht über eine ausreichende Qualifizierung in der Dyskalkulie-Förderung, sodass es sich im Förderunterricht um eine reine Stoffwiederholung handelt, die einem Kind mit einer Dyskalkulie nicht ausreichend hilft. Außerschulische Förderung bezieht sich auf eine Dyskalkulie-Therapie bei einem/r geschulten Dyskalkulie-Therapeuten/in. Dies ist die beste Methode, Rechenschwierigkeiten langfristig unter Kontrolle zu bringen.
Die Dauer einer Dyskalkulie-Therapie kann je nach den bestehenden Rechenproblemen auch mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Eine Dyskalkulie ist nicht „heilbar“, daher ist es das Ziel einer Therapie, die Rechenfähigkeiten des Kindes so weit zu fördern, dass eine selbstständige Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gewährleistet ist. Kinder sollen Schule, Ausbildung und auch Studium erfolgreich absolvieren und ihren späteren Lebensunterhalt selbst bestreiten können
Welche Arten von Nachteilsausgleich sind möglich?
Ziel eines Nachteilausgleiches ist es nicht, Vorteile zu schaffen, sondern Nachteile auszugleichen, die sich explizit durch eine vorhandene Dyskalkulie ergeben. Gleichzeitig kann sich der Nachteilsausgleich positiv auf den Selbstwert auswirken, da das Kind nicht dauerhaft mit schlechten Noten konfrontiert wird. Folgende Möglichkeiten anderer Leistungsbeurteilung gibt es:
• Verlängerte Arbeitszeiten oder Pausen (z. B. bei Prüfungen)
• Bereitstellen oder Zulassen technisch-didaktischer Hilfsmittel (z. B. Verwendung Notebook, Taschenrechner, spezifisch gestaltete Arbeitsblätter)
• Differenzierte Aufgabenstellung bei Hausaufgaben oder Prüfungen
• Aufgabenstellungen, die dem Lernstand des Kindes entsprechen
• Mündliche statt schriftliche Arbeiten
• Noten können durch schriftliche Bewertungen ersetzt oder ergänzt werden
• Die Bewertung geschieht auf Basis des individuellen Lernfortschritts oder aufgrund einer anderen Gewichtung des Schulstoffs
• Beim Übertritt an eine andere Schule spielt die Benotung eine geringere Rolle
• Die Benotung wird für einen bestimmten Zeitraum komplett ausgesetzt (Notenschutz)
Die Änderungen bei der Leistungsbeurteilung stellen oft das größte Problem und den größten Streitpunkt bei der Gestaltung von Dyskalkulie-Erlassen dar. Bei der Förderungen als auch dem Nachteilsausgleich wird wiederholt geprüft, ob sie noch notwendig sind. Ein Nachteilsausgleich darf nicht im Zeugnis vermerkt werden!
Kosten der Förderung
Die Kosten einer Dyskalkulie-Therapie werden vom Jugendamt unter bestimmten Voraussetzungen übernommen (§ 35 a SGB VIII). Die Therapie von anderen Störungen mit Krankheitswert, die neben der Dyskalkulie noch vorliegen, können von der Kassen übernommen werden, wenn die Therapie bei Kassenärzten/innen oder Therapeuten/innen durchgeführt wird. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre aus geringverdienenden Familien, bzw. die selbst geringverdienend sind, haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine Finanzierung der Lerntherapie aus Mitteln des Bildungspakets (BuT).